Skip to main content
REMEX SOLUTIONS
REMEX

8. Januar 2025

Im Praxis-Check: Bürokratieabbau im Umweltrecht

Im Zuge der Transformation der deutschen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft sehen sich besonders Unternehmen der Recyclingbranche steigenden umweltrechtlichen Anforderungen ausgesetzt. Vieles wird aktuell unter dem Stichwort Entbürokratisierung von der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Wir haben Gregor Franßen gefragt, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Franßen & Nusser GbR und Experte für Umweltrecht, wie er die aktuelle Entwicklung einschätzt.

Zur Person
Gregor Franßen ist seit über 20 Jahren im Umweltrecht tätig, Schwerpunkte Abfall- und Kreislaufwirtschaft, Wasserwirtschaft, Bergbau, Kernenergie, Kommunalwirtschaft und Beschaffungswesen. Er ist einer der führenden Experten für Abfall- und Kreislaufwirtschaftsrecht in Deutschland. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt hält er regelmäßig Vorträge in seinen Fachgebieten und kann auf eine Vielzahl von Fachveröffentlichungen verweisen. Die Franßen & Nusser GbR bietet auf ihrer Website einen Blog und regelmäßige Rechtsprechungsreporte, die auch per > E-Mail abonniert werden können. fn.legal

Herr Franßen, wie beurteilen Sie die Bemühungen des Gesetzgebers in Bezug auf Entbürokratisierung im Planungs- und Genehmigungsrecht?

Gregor Franßen: Nehmen wir als Beispiel die Verfahrensdauer. Um in Deutschland notwendige Infrastrukturprojekte schneller realisieren zu können, wurde im Jahr 2018 das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsvorhaben im Verkehrsbereich verabschiedet. Mit einem Gesetz zur weiteren Beschleunigung und dem Maßnahmengesetz zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht wurde dieser Ansatz zwei Jahre später nochmal forciert. Viele erinnern sich möglicherweise auch an das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes von verflüssigtem Erdgas vom Mai 2022, dieses Gesetz entsprang der damaligen kriegsbedingten Wende in der Energieversorgungspolitik. 2023 erfuhren verwaltungsgerichtliche Verfahren im Infrastrukturbereich eine Neuerung, auch hier soll es jetzt schneller gehen. Es bewegt sich also etwas im Bereich der Gesetzgebung in Bezug auf die Regulierung von Verwaltungsverfahren.


Das sieht so aus, als würde der Gesetzgeber auf akute Themen zügig reagieren. Wie sehen Ihre Erfahrungen im behördlichen Alltag aus?

Gregor Franßen: Die gesetzlichen Änderungen waren eher überfällig – es hatte und hat sich ja auch einiges aufgestaut. Aber zu den Behörden: Sie dienen als Kontrollinstanz für die Einhaltung geltender Vorschriften. Gleichzeitig sollen sie aber auch Dienstleister für die Bürger und Unternehmen sein. Behörden haben Beratungspflichten und sollen eigentlich darauf hinarbeiten, dass Genehmigungen und Zulassungen erfolgreich erteilt werden können.

„Grundsätzlich wünscht man sich aber einfach mehr Lösungsorientierung und weniger Problemorientierung im Verwaltungsvollzug.“

Das ist natürlich ein gewisser Spagat. Hinzu kommt, dass die Frequenz neuer Gesetzesvorgaben gestiegen ist – das stresst die Verwaltung genauso wie Unternehmen. Grundsätzlich wünscht man sich aber einfach mehr Lösungsorientierung und weniger Problemorientierung im Verwaltungsvollzug. Ärgerlich sind insbesondere Vorgehensweisen, die Verfahren unnötigerweise hinauszögern, beispielweise wenn in einer Art Salamitaktik Antragsunterlagen – teilweise über Jahre – nachgefordert werden: Immer, wenn man eine angeblich noch erforderliche Unterlage nachgereicht hat, kommt die nächste Nachforderung. Es fehlen eindeutige Fristen, an die sich Behörden zu halten haben. Die Änderung von § 10 Abs. 5 BImSchG geht hier in die richtige Richtung, z. B. soll es eine Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung von Stellungnahmen geben und eine Fiktion der Nichtstellungnahme nach einem Monat für alle Anlagen. Zudem würde eine effizientere Verfahrensführung der Tatsache gerecht, dass auch Behörden mit einem Mangel an qualifiziertem Fachpersonal kämpfen. Nicht selten verhalten sich Genehmigungsbehörden aber kontraproduktiv und verwenden einen erheblichen Teil ihrer Zeit und Personalressourcen auf nicht zielführende Tätigkeiten – z. B. wenn in Zulassungen ganze Antrags- und Gesetzestexte abgeschrieben werden. Bei einem Deponievorhaben, das ich vor einiger Zeit betreut habe, waren von 256 Seiten ca. 50 Seiten reine Wiedergaben gesetzlich geregelter Pflichten, also unnötiges Beiwerk.


Wenn Sie den Gesetzgeber für seine Arbeit bewerten müssten, was wäre dann Ihr Urteil?

Gregor Franßen: Die Gesetzgebung zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren ist zwar richtig, geht aber nicht den Kern des Problems an. Denn die Gesetz- und Verordnungsgeber in Bund und Ländern (und auf EU-Ebene) hören nicht auf, immer neue und zusätzliche inhaltliche und formelle Pflichten einzuführen. Statt konsequent zu entbürokratisieren, wird vielfach weiter bürokratisiert. Mein Urteil lautet daher „mangelhaft“. Und das ist ein ernsthaftes, grundlegendes Problem. Denn wir haben meines Erachtens die Grenzen der bewältigbaren Komplexität erreicht. In Deutschland ist über die letzten Jahrzehnte ein komplexes Netz von Gesetzen und untergesetzlichen Regelwerken entstanden, deren Systematik und Einzelheiten nur noch wenige hochspezialisierte Experten nachvollziehen können. Das überfordert nicht nur Unternehmen, sondern auch Behörden.

Fällt Ihnen dazu ein konkretes Beispiel ein?

Gregor Franßen: Ein anschauliches Beispiel ist das Schreiben einer Umweltbehörde im Dezember 2022 an einen Anlagenbetreiber aus Anlass der neugefassten Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft). Die bearbeitende Behörde war damit überfordert, die Auswirkungen von Bundes-Immissionsschutzgesetz, TA Luft und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Abfallbehandlungsanlagen zu überblicken. Sie wies daher den Betreiber an, doch bitte selbst zu prüfen, ob seine Anlage von den Neuregelungen betroffen wäre und ob seine Genehmigung angepasst werden müsste. Im Anschluss sollte der Betreiber das Ergebnis der Behörde mitteilen, damit diese dann entsprechende Maßnahmen gegenüber dem Betreiber anordnen konnte.


Kann der Gesetzgeber solchen Abläufen nicht mit klareren Regeln entgegenwirken?

Gregor Franßen: Wir können ja bereits seit längerer Zeit die Tendenz beobachten, dass in den gesetzgeberischen Prozessen Themen sehr kleinteilig geregelt werden – in der Annahme, dass mehr Detailregelungen zu weniger Fragen führen. Das Gegenteil ist aber der Fall: Je detailreicher und komplexer die Regelungen, desto mehr Fragen stellen sich.


Wie sehen Sie die Rolle der Bundesländer in Bezug auf den Vollzug von Gesetzesvorgaben?

Gregor Franßen: Hier ist die Antwort eindeutig: Weniger ist bzw. wäre mehr. Mit jeder Novelle und jedem neuen Gesetz – ironischerweise auch bei so genannten Vereinfachungen – werden von Behörden zusätzliche Handlungsanweisungen erstellt, die das Ganze noch weiter verschärfen. Auf der Ebene des Verwaltungsvollzugs werden praxisferne und erschwerende Anforderungen eingeführt und dadurch Anwender und Behörden gleichermaßen weiter verunsichert. Verwirrung statt Aufklärung ist das Resultat – und Recycling wird ggf. eher verhindert als gefördert.


Was meinen Sie damit?

Gregor Franßen: Als Beispiel kann man die Auslegung und die Abgrenzung der neu gefassten Bundes-Bodenschutz-Verordnung (BBodSchV) und der Ersatzbaustoffverordnung (EBV) aus dem Jahr 2023 nennen. Die Länderarbeitsgemeinschaft Boden (LABO) hat wegen der komplexen Zusammenhänge eine so genannte Vollzugshilfe erstellt, die zahlreiche Fehler enthält. Unter anderem steht in diesem Dokument, dass die EBV die zulässigen Bauweisen abschließend regelt. Das stimmt nicht, Einzelfallzulassungen bleiben laut § 21 Abs. 2 EBV möglich. Weiteres Beispiel: Die EBV wurde auf Basis eines Sickerwassermodells entwickelt, das ausführlich in einem Gutachtenbericht des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2018 dargelegt wird. Hier werden für die Modellierung Schichtdicken für Straßenunterbau, Frost-, Schottertragschichten etc. angenommen.

Diese Werte werden sowohl von der LABO als auch von der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) in ihren Vollzugshilfen als Orientierungswerte genannt und von Behörden im Einzelfall nicht selten wie Grenzwerte gehandhabt. Wenn der Gesetzgeber diese Werte als rechtlich bindende Obergrenze hätte setzen wollen, hätte er sie gesetzlich klar verankert. Dazu kommt noch, dass in der LABO-Vollzugshilfe der Zusatz fehlt, dass wasserundurchlässige Bauweisen von den Orientierungswerten für Schichtdicken gar nicht betroffen sind. Ich sehe die LABO-Vollzugshilfe als dringend überarbeitungsbedürftig an!

„Ich sehe die LABO-Vollzugshilfe als dringend überarbeitungsbedürftig an!“


Da fragt sich der Laie, welche Funktion diese Zusatzdokumente haben, wenn sie nicht bindend sind?

Gregor Franßen: Es kann im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, für den gesetzlichen Vollzug Handlungshilfen bereitzustellen. Aber sie sollten bundeseinheitlich sein, nicht den gesetzlichen Vorgaben widersprechen oder Widersprüche eröffnen – und vor allem sollten sie Lösungen zugunsten von mehr und einfacherem Recycling bieten und nicht zusätzliche Erschwernisse schaffen. Der Gesetzgeber hat z. B. bei BBodschV und EBV detaillierte Begründungen geliefert. Sie mit praktischen Beispielen für Anwender zu ergänzen, ist grundsätzlich sinnvoll – aber nur, wenn die Beispiele fehlerfrei sind, den praxisnahen Regelfall und keine Exoten zeigen und vor allem veranschaulichen, wie man am besten möglichst viel recycelt.

Das Problem ist grundlegender Art, nämlich dass die Gesetze auf Bundesebene verabschiedet werden, die Umsetzung bzw. der Vollzug jedoch in den Bundesländern geregelt wird. Ergebnis ist, dass 16 Bundesländer 16 unterschiedliche Handhabungen bei gleicher Aufgabenstellung festschreiben. Diesen Widerspruch wird man nur auflösen können, wenn das Gesetzgebungsverfahren verbessert wird, z. B. indem Praxis-Checks vor Verabschiedung von Gesetzen erfolgen und Vollzugshinweise gemeinsam beschlossen werden. Das würde tatsächlich direkt zur Entbürokratisierung beitragen.

„Praxis-Checks und gemeinsame Vollzugshinweise sind nötig, um Widersprüche und Bürokratie abzubauen.“


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Franßen.

Bildnachweise: © winyu, adobe.stock-com, 400536003

Newsletter

Bleiben Sie informiert und abonnieren unseren Newsletter mit aktuellen Informationen zu unseren Dienstleistungen, Projekten und vielem mehr.